In der kalten Jahreszeit neigen wir zu Erkältungen. Vielleicht erinnert ihr euch noch, was eure Mutter oder Großmutter euch gegen Erkältungen verabreicht haben: Viele hatten Meerrettich in der Hausapotheke, selbst gemachten Hustensaft aus Rettich oder man durfte ein Senfbad nehmen. Der Grund dafür ist ein gemeinsamer Inhaltsstoff: die Senfölglykoside, auch Glucosinolate genannt. Sie unterstützen nicht nur akut, sondern auch vorbeugend gegen Erkältungen und Infekte.
Zum Thema Senföle habe ich auch einen Beitrag mit dem SWR für die Sendung Doc Fischer gedreht. Dort findet ihr auch Rezepte für einen Kapuziner-Kartoffelsalat und einen Apfel-Meerrettich.
Was sind Senfölglykoside?
Senfölglykoside sind schwefelhaltige Verbindungen und gehören zu den sekundären Pflanzenstoffen. Sie umfassen etwa 120 verschiedene chemische Strukturen. Etwa 20 davon kommen Gemüsesorten vor, die für den Menschen ernährungsrelevanten sind. Sie dienen der Pflanze als natürlicher Schutz vor Fressfeinden und mikrobiellem Befall.
Worin sind sie enthalten?
Sie kommen hauptsächlich in der Pflanzenfamilie der Kreuzblütler vor und sind für deren typischen Geschmack verantwortlich. Dazu gehören Senf, Kresse, Meerrettich und Kohlgemüse. Weit verbreitet ist zum Beispiel Sinigrin in Meerrettich. Es verleiht ihm seine Schärfe, kommt aber auch in Kohlsprossen und Senf vor. Die Konzentration hängt natürlich von der Gemüsesorte ab, aber auch vom der jeweiligen Kulturpflanzengruppe. Sie kann ebenfalls durch Züchtung beeinflusst werden: In England beispielsweise züchtet und verkauft man Rosenkohl mit fünf bis sieben mal höheren Sinigrin-Gehalten. Dort schätzt man das bittere Aroma.
Wirkung von Senfölglykosiden
Senfölglykoside stimulieren das Immunsystem, wirken antibiotisch, antioxidativ und verringern möglicherweise das Risiko für bestimmte Krebskrankheiten wie Dickdarm-, Magen-, Brust-, Leber- oder Lungenkrebs. Senföle, die Abbauprodukte der Senfölglykoside, sorgen für den stechenden Geruch und scharfen Geschmack, der charakteristisch für viele Kreuzblütler ist. Sie wirken ähnlich wie Allicin (aus Knoblauch), Quercentin und Phenolsäuren als Antibiotika und gewinnen aufgrund ihrer antimikrobiellen und fungistatischen Wirkungen an Bedeutung.
Stoffwechsel der Senfölglykoside
Der Abbau der Senfölglykoside erfolgt durch das pflanzeneigene Enzym Myrosinase, welches bei der Verarbeitung oder dem Zerkauen des Lebensmittels freigesetzt wird. Das führt zur Bildung von Glucose und Sulfat sowie den eigentlichen Wirkstoffen: Thiocyanate, Isothiocyanate, Indole, Thiooxazolidonen (Goitrin) und Nitrile. Die Bioverfügbarkeit, also der Anteil der Nährstoffe, die über den Darm in die Blutbahn gelangen, liegt beim Menschen bei über 15 %.
Beim Verzehr von gekochtem Gemüse gelangen intakte Senfölglykoside in den unteren Verdauungstrakt. Im Magen gehen 60 % der aufgenommenen Menge im sauren Milieu durch Hydrolyse verloren. Nur 40 % erreichen den Dünndarm. Glucosinolate aus Rohkost werden im Magen durch Myrosinase weiter abgebaut. Intakte Glucosinolate werden kaum über den Dünndarm aufgenommen, sondern im Dickdarm durch die intestinale Mikroflora weiter verstoffwechselt. Das ist besonders für gekochtes Gemüse von Bedeutung, denn der Kochprozess inaktiviert die pflanzeneigenen Enzyme. 18 % der Senfölglykoside, die den Dickdarm erreichen, werden zu Senfölen (Isothiocyanate) abgebaut und über die Schleimhaut aufgenommen. Die Absorption intakter Glucosinolate wird kontrovers diskutiert. In den ableitenden Harnwegen, deren therapeutische Wirkung bei Infektionen gesichert ist, liegen die höchsten Konzentrationen der Abbauprodukte vor.
Schaut euch dazu gerne auch mein Video an. Ich zeige euch auch meinen selbst gemachten Hustensaft aus Zwiebeln und Winterrettich.
Einfluss der Lebensmittel-Zubereitung
Die konkreten Inhaltsstoffe der Gemüse hängen maßgeblich von der Zubereitungsart ab: Beim Dampfgaren bleiben Senföle größtenteils erhalten, beim Kochen verringert sich ihr Gehalt durch enzymatischen Abbau und Auskochen mit dem Kochwasser bis zu 60 %. Schon durch Blanchieren können mehr als 50 % ausgelaugt werden. Auch eine Milchsäuregärung, wie sie bei Herstellung von Sauerkraut erfolgt, verringert den Gehalt an Senfölglykosiden. Beim Trocknen bleiben die Glucosinolate erhalten.
Starkes Erhitzen inaktiviert die Myrosinase und damit den enzymatischen Abbau. Stattdessen finden vermehrt chemische Abbauprozesse statt. Sie hängen von Faktoren wie dem pH-Wert, der Konzentration an Eisenionen oder dem Wassergehalt der Pflanze ab. Durch milde Wärmebehandlung (Dampfgaren) werden mehr Isothiocyanate gebildet als bei längerem starkem Erhitzen (Backen, Braten, Frittieren). Senfölglykoside werden beim Kochen bei pH 5.3, dem natürlichen pH-Wert der Pflanze, als stabil beschrieben, wohingegen höhere pH-Werte (pH > 8.0) die Stabilität verringern. Auch die Pflanzenmatrix wirkt sich auf die Stabilität der Nährstoffe aus.
Praktische Tipps zum Verzehr
Toll ist, wenn ihr möglichst rohe Lebensmittel verzehrt, die Senfölglykoside enthalten: schneidet euch frische Kresse auf das Brot oder reibt Rettich in den Salat. Wasabi würzt kalte Speisen und Rucola und Grünkohl sind toll als Beilage. Um Gemüse zu garen, eignen sich schonende Methoden wie Dämpfen oder Dünsten, wobei ihr unbedingt die Garflüssigkeit mit verwenden solltet – zum Beispiel in einer Soße. Das reicht euch noch nicht?
Dann probiert doch mal meinen Tafelspitz sous-vide mit Avocado-Meerrettich-Dip! Das Rezept gibt’s auch als Video.