Eine Ernährung perfekt auf den eigenen Körper abgestimmt – Zukunftsvision oder bereits Gegenwart? Was sich wie science fiction anhört, ist schon lange Bestandteil der Forschung. Auch Firmen bieten bereits maßgefertigte Ernährungsempfehlungen oder Supplementierungen an: personalisierte Ernährung oder auch precision nutrition.
Wie persönlich kann Ernährung sein?
Personalisierte Ernährung ist ein Ansatz der Beratung, die ganz individuell auf euren Nährstoffbedarf und eure Bedürfnisse abgestimmt ist. Dabei gibt es verschiedene Methoden, diese Werte zu bestimmen. Bei genetischen direct-to-consumer-Tests werden anhand genetischer Informationen Ernährungsempfehlungen ausgesprochen – auch „Gendiät“ genannt. Es gibt aber auch die Möglichkeit, per Stuhlproben bestimmte Bakterien in unserem Dickdarm zu ermitteln. Das „Mikrobiom“ soll eine wichtige Rolle bei Stoffwechselvorgängen spielen. Neben einer gesunden Ernährung verspricht sich die Forschung außerdem eine erleichterte Gewichtsreduktion und die Prävention bzw. sogar Behandlung bestimmter Krankheiten. Dazu gehören vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas und Diabetes-Typ-2.
Startschuss für personalisierte Ernährung
Eine Forschungsneuheit ist die „precision nutrition“ schon lange nicht mehr. Fest steht: Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Mahlzeiten. Und auch Gewichtsreduktion oder das Risiko für verschiedene Erkrankungen fallen je nach Person sehr individuell aus. Bereits vor dem 20. Jahrhundert wurde der Zusammenhang zwischen unserem Stoffwechsel und unseren Genen erforscht. Im Jahr 2001 wurde das „Humangenom“ publiziert. Es ist die Entschlüsselung von einem Teil der menschlichen Gene. Das sorgte für den ersten großen Schub in Richtung „precision nutrition“. Bereits 2 Jahre später boten die ersten Firmen personalisierte Ernährung als Dienstleistung an. Dabei wurden anhand von Schleimhautabstrichen einige wenige Genvarianten analysiert. Auf ihrer Basis wurden Ernährungsempfehlungen oder Supplementierungen zusammengestellt. Bis heute werden immer mehr Genvarianten erforscht, die im Zusammenhang mit Diabetes oder Übergewicht stehen sollen.
Gene als Ernährungs-Gurus?
Liegt die Antwort auf Stoffwechselerkrankungen in unserer DNA? Aufgrund einiger wissenschaftlicher Forschungsarbeiten ist belegt, dass Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen genetische Komponenten aufweisen. Außerdem kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass Träger eines bestimmten Risikoallels bis zu 3kg mehr wiegen als Menschen ohne das Allel in ihren Genen. Daraus wurde ein Zusammenhang (eine Assoziation) von genetischen Merkmalen mit bestimmten Erkrankungen entwickelt. Auf dieser Annahme basiert auch das Grundprinzip der personalisierten Ernährung und ihrer Ernährungsempfehlungen. Jedoch fanden Wissenschaftler gleichzeitig heraus, dass die Informationsübertragung aus unserer DNA auf unsere Körperfunktionen nur 6% des BMI (Body Mass Index) erklären können. Zudem hat die Forschung nur einen Bruchteil aller Risikoallele an verschiedenen Genorten in unserer DNA gefunden. Die Funktionalität vieler Genorte ist jedoch noch nicht vollständig geklärt.
Mitbestimmungsrecht der Darmbakterien
Seit über 100 Jahren ist bekannt, dass der Dickdarm eine hohe Bakteriendichte beherbergt – unser Mikrobiom. Bei jedem Menschen variiert die Zusammensetzung ganz individuell wie ein Fingerabdruck. Da klingt es logisch, wenn diese Bakterien auch einen Einfluss auf die Verarbeitung unserer Nahrung und den Stoffwechsel haben. Dieses noch junge Forschungsfeld haben auch unterschiedliche Unternehmen für sich entdeckt: Sie integrieren Analysen von Stuhlproben in individualisierte Ernährungskonzepte. Aber Vorsicht! Bis jetzt sind nur etwa 15% der Wirkung von bestimmten Populationen erklärt. Zudem gibt es noch unzählige Unbekannte, die unseren Darm beherbergen. Die Forschung ist also noch lange nicht so weit, anhand von wenigen Stuhlproben den komplexen Stoffwechsel eines Menschen zu erklären.
Was sagen Ernährungs-Studien?
Zahlreiche Studien bestätigen, dass es genetische und bakterielle Komponenten bei der Verarbeitung von unserem Essen gibt. Aber was sagt das über die Wirkung auf das Abnehmverhalten aus? Nicht viel und auch neuere Studien zeigen: Genetik spielt bei unserem Stoffwechsel keine so große Rolle wie erwartet. Ähnlich ernüchternd sieht es im Forschungsfeld rund um das Mikrobiom aus. Es existiert schlicht keine wissenschaftliche Studie, die den Wert der Bakterienanalyse aus dem Stuhl für den Erfolg von personalisierter Ernährung belegt. Die wichtigsten 4 Studien im Überblick:
Studienname | Was wurde untersucht? |
Was wurde herausgefunden? | Link zur Vollversion |
Food4Me | Überprüfung der Hypothese, dass Empfehlungen für gesündere Ernährung erfolgreicher sind, wenn sie auf individuelle Lebensstile, Phänotyp oder Genotyp zugeschnitten sind | Ernährungsempfehlungen basierend auf Genetik führen zu keinem Mehrwert bei der Gewichtsabnahme. | Celis-Morales et al. 2017 |
PRE-DICT 1 | Untersuchungen der Glucose-/Lipidantwort nach dem Verzehr von definierten Mahlzeiten mit Blick auf genetische Faktoren | Mikrobiom, Genetik und Mahlzeitenzusammensetzung wiesen einen marginalen Effekt auf verschiedene Stoffwechselantworten auf. | Berry et al. 2020 |
NOW | Vergleich vom Effekt klassischer und genbasierter Ernährungsintervention auf Veränderung von Körperfettanteil, -gewicht, BMI | Nach einem halben Jahr hatte die genbasierte Gruppe ihren Körperfettanteil stärker reduziert, jedoch war der Effekt nach einem Jahr nicht mehr zu sehen. Beim Gewicht bzw. BMI gab es zu keinem Zeitpunkt einen Unterschied zwischen den Testgruppen. | Horne at al. 2020 |
DIETFITS | Vergleich vom Effekt der Kostformen wie low carb oder low fat und der Kostformen in Kombination mit Genanalysen auf die Gewichtsabnahme | Es wurde kein genetischer Effekt auf die Gewichtsabnahme entdeckt. | Gardner et al. 2018 |
Wo scheitert personalisierte Ernährung?
So vielversprechend und gegenwärtig genbasierte oder mikrobielle Ernährung auch klingt, es bleibt vorerst Zukunftsmusik. Die Assoziation bestimmter Genorte mit Erkrankungen reicht bei weitem nicht aus, um Ernährungsempfehlungen abzuleiten. Die Forschung kann bis jetzt nur 10-20% von bakteriellen Populationseigenschaften erklären. Auch die oben genannten Studien zeigen, dass Gen-Ernährungs-Interaktionen keine besonderen Effekte auf eine Gewichtsreduktion haben. Viele Unternehmen nutzen trotzdem den Hype um die moderne „precision nutrition“. Das kann zum Problem werden: Klassische Verfahren und bestimmte Lebensumstände zur Beurteilung vom Ernährungszustand geraten dadurch in Vergessenheit. Nur wenige Unternehmen bieten eine umfassende Analyse mit Hautfaltendicke-Messung oder der Ermittlung der Konzentration von Vitaminen, Spuren- und Mengenelementen an. Genau das sind wichtige Faktoren, die unseren Körper, unser Abnehmverhalten und das Risiko für bestimmte Erkrankungen beeinflussen.
Wie entwickelt sich Ernährung weiter?
Trotz allem besteht noch Hoffnung. Personalisierte Ernährung ist ein toller Ansatz für eine immer präzisere Ernährungsberatung. In Kombination mit klassischen Verfahren und zukünftigen neuartigen Messmethoden ist eine „precision nutrition“ in Entwicklung, die ihrem Namen gerecht wird. Es ist aber noch ein weiter Weg, bis die Forschung mit ihren Ergebnissen solche Ernährungsberatungen anbieten kann.
Wenn ihr mehr über das Mikrobiom erfahren möchtet schaut mein YouTube-Video „Die Entwicklung unseres Mikrobioms“. Oder interessieren euch noch andere Einflussfaktoren auf unsere Ernährung? Dann lest meinen Artikel „Schlaf und Ernährung“.
Hier das Video zu personalisierter Ernährung. Schaut es euch an: