Das Magazin Der Feinschmecker sucht in unserem Club der „Food-Editoren“ Freiwillige, die gegen Gage Sternerezepte nachkochen. Das klingt spannend – schließlich kann eine kleine Horizonterweiterung nicht schaden, wenn man sich gerade ein knappes Jahr mit Baby- und Familienrezepten herumgeschlagen hat.
Ich werde auserwählt – wunderbar. Die Krönung: es ist ein Rezept von Tim Raue (2-Sterne-Koch und Besetzer des 37. Platzes der 50 weltbesten Restaurants). Also gleich Königsklasse. Das gilt natürlich nicht für die schriftliche Formulierung – die ist eher: gesprochenes Wort. Und ziemlich lang – zwei Din A 4 Seiten spuckt der Drucker aus. Da geht’s um Land und Leute – das Rezept, Lammhaxe nach Sichuan-Art, stammt original aus Sichuan (schreibt man das wirklich so?)
– und man bekommt richtig Appetit aufs Abenteuer auf dem Teller.
Das mache ich am Wochenende. Und lade die „Kinder“ dazu ein. Also erstmal einkaufen. Die Praktikantin radelt los – und kommt mit ziemlich leerem Körbchen zurück: Weder Kombu-Algen, Bonitoflocken (= getrocknete Fischflocken), Yuzusaft (Yuzu= asiatische Zitrusfrucht; zitronenähnlich), noch Szechuanpfeffer rot und grün. Es ist Freitag – weiteres shopping bleibt an mir hängen. Ich ziehe mit Dackelmädchen Jussa los zum besten Asialaden in der Stadt. Immerhin haben die die Flocken, den Pfeffer und den Yuzu-Saft, der mir in Gold aufgewogen wird. Info zu den Algen: „Da gab es einen Rückruf wegen überhöhten Jodgehalts“. Das kann ja heiter werden. Mit Jussa im Rewe am Münsterplatz: Wenigstens grünen Tabasco hab ich im Einkaufswagen – neben Jussa. Das Lemonoil vergesse ich leider…. und Lammhäxle gibt es nicht. Dafür komme ich draußen in den Genuss der nächtlichen Münsterturm-Lichtinstallation. Freiburg feiert den Turm ohne Gerüst – nach 12 Jahren Renovierung. Herrlich.
Ohne Rezept-Test wäre ich nicht hier. Danke, lieber Feinschmecker.
Samstag früh: Ich telefoniere meine Einkaufsquellen ab, um sicher zu sein. Auf die gute Traditionsmetzgerei ist Verlass – Häxle in der Hildastr. Ich schicke meinen Mann mit Rad. Der holt dann noch beim zweitbesten Asialaden hoffentlich unbelastete Kombualgen und findet im Öl-und-Essig-Laden das Zitronenöl. Und noch jede andere Menge Spezialitäten, auf die er Appetit bekam …. Vom Markt bringt er stolz eine Kindskopf große Sellerieknolle mit – vielen Dank – wir brauchen davon 20 g… Wird ja nicht schlecht.
Also – alles da! Ich richte ein Körbchen mit den geforderten Zutaten, probiere den Yuzusaft und finde ihn toll. Ganz anders. Bißchen Orange, bißchen Mandarine, bißchen Grapefruit.
Man lernt ja wirklich dazu. Die Stimmung steigt.
Jetzt muss ich erstmal die Paste pürieren. Tim Raue hat natürlich einen Thermomix. Ich nicht. Will ich nicht. Ich nehme die alte Kaffeemühle, um aus Öl, Knoblauch, Kümmel und Salz eine Paste zu mixen. – für die Menge top. Aber wo ist mein Vakuumiergerät? Hab ich doch erst kürzlich gesehen…. Und sollte ich die Häxle nicht lieber im Sous-Vide garen als im Dämpfer?
Freundin Lenka bringt ihren Gerätepark mit. Aber sie meint – Sous-Vide, dafür sind 82 Grad zuviel. Stimmt. Aber erstmal muss alles ja 6 Stunden marinieren. Und dann 10 Stunden bei 82 Grad dämpfen. Wie mache ich das? Um 19 Uhr soll es das Essen geben. Also um 10 Uhr vor der Kirche mit dem Dämpfen starten. Muss ich dann bis 4 Uhr feiern? Oder mir den Wecker auf 4 Uhr stellen, wenn ich früher schlafen gehe? Damit ich die Marinierzeit von 6 Stunde halte? Ich ahnte schon: Tim Raue schläft nicht. Als Koch kann man sich das eben nicht leisten. Oder er kann Sekundenschlaf. Oder er hat Heinzelmännchen, die mir leider fehlen.
Ich beschließe also das großzügig auszulegen mit schlechtem Gewissen gegenüber Tim Raue und den Häxle. Bißchen länger marinieren wird schon nicht schaden. Also abends wird geschmiert und vakuumiert – ab in den Kühlschrank. Man könnte ja im Ernstfall vorher die Ostereier noch färben – das Ganze ist ja ein Osterrezept!
Am nächsten Morgen geht es weiter. Sous-Vide scheint keine echte Alternative – oder wenn, dann wahrscheinlich bei 46,85 Grad – aber das müsste mir Tim Raue erst ausrechnen, da will ich nix verhunzen. Puh, jetzt muss ich die Dämpffunktion meines Backofens einweihen. Wo ist die verflixte Beschreibung? Zum Glück gibt’s ja das Internet. Passt alles – ich schiebe den vakuumierten Beutel auf den Rost, werfe die Dämpffunktion an. Bei einer Wolke stimmt die Temperatur –
– aber ehrlich, Tim Raue: müssen es exakt 82 Grad sein? Dafür kann ich nämlich nicht garantieren…
Das blöde: Ich muss die Dämpffunktion alle 30 Min. neu aktivieren, Wasser austauschen – also heute kein Sonntagsspaziergang. Beim zweiten Mal macht es pling – der Ofen atmet nicht mehr. Aus und vorbei. Sicherung aus- und einschalten, Ofen trockenlegen – nichts hilft. Ich bin verzweifelt. Packe den Beutel in den elektrischen Dämpfer. Aber der wird viel zu heiß! Mindestens 90 Grad. Das geht garnicht! Ich reiße den Beutel wieder heraus. Und leider auf. Also ein bißchen.
Tim Raue, hilf!
Es ist Sonntag morgen und riecht 3 Häuserblocks weiter nach Knoblauchpaste. Nur wer in der Kirche ist, bleibt verschont. Was nun? Meine Rettung: Die Warmhalteschublade – übrigens das beste an dem Ofen. Sie hat 80 Grad – hab ich gemessen. Also ungefähr. Darin bleibt jetzt der Schlamassel bis 19 Uhr. Schublade zu. Ich atme erstmal auf. Tolles Rezept. Da hat man zwischendurch richtig Pause!
Zeit zum Ostereier suchen – soll ja für Ostern sein.
Und für den Brunch. Ich stelle mir den Wecker. 1 ½ Stunden vor dem Essen muss ich ja die Dashibrühe für das Salatdressing ansetzen. Mit Kombu, Bonitoflocken, Sellerie, Lorbeer. Tim Raue ist wieder recht streng: 15 Min kochen, dann 1 Stunde bei 90 Grad ziehen lassen. Meine Großmutter würde jetzt sagen: Die Brühe darf nicht mehr köcheln, sie darf nur lächeln, sozusagen mit Grübchen. Aber das ist eben nicht exakt genug. Gelobt sei mein Zuckerthermometer aus Messing!
Fischduft zur Happy Hour – ich siebe die Dashibrühe ab und mache mich ans Dressing. Meint er das ernst? 30 g Zucker? In den Salat? Und dann 120 ml Reisessig? Und Yuzusaft? Und Zitronensaft? Jeder Dressinghersteller würde sofort von foodwatch den Goldenen Windbeutel bekommen. Ich halbiere mal die ganze Dressingmenge – dafür gibt es doppelt soviel Kopfsalat – also ein halbes Herz für jeden. Ich mixe Dashibrühe, Petersilie, die Säuren, Zitronen- und Pflanzenöl, Salz und – tröstlich vertraut – Senf zu einem cremigen Dressing. Erstaunlich, dass Tim Raue einfach Pflanzenöl schreibt. So ohne Pflanze und Jahrgang – das entlastet mich wirklich. Und macht mich so mutig, dass ich das Dressing nicht durch die Mullwindel passiere wie er das will. Es schmeckt nämlich toll und sieht toll aus. Chapeau. Hätte ich nie gedacht. Ich bin beeindruckt.
Dazu bleibt aber keine Zeit. Die Stunde der Wahrheit kommt für meine Häxle. Ich packe sie aus und tupfe sie ab. Eigentlich muss ich sie warm abwaschen – das bringe ich leider nicht übers Herz, weshalb am Ende alles sehr salzig ist. Die Häxle sehen grau und traurig fledderig aus. Sie passen jetzt wirklich in den kleinen, hohen Topf. Ich schätze mal das Öl ab und erhitze es im Topf. Mit meinem Zuckerthermometer natürlich. Bei 170 Grad kommen die Beine hinein, Knochen nach oben. Klappt prima, zischt und spritzt und beruhigt sich. Also ganz hält sich die Temperatur nicht. Aber sieht alles gut aus. 7 Minuten sagt der Meister – das mache ich. Und dann soll ich glasieren. Mit einem Mix aus Honig, Kreuzkümmel und einer Art China-Ketchup (Char Siu Sauce), das mich sehr überzeugt, weil nicht süß. Und unserem edlen Mühlen-Honig von der eigenen Wiese. Aber heißt das nochmal in den Ofen? Der ist ja kaputt.
Ich beschließe das wie beim Kuchen zu machen: Einfach drüber, zack.
Jetzt noch der Salat. Erschöpft, aber glücklich sitze ich mit meinem Liebsten am Küchentisch. Es schmeckt wahnsinnig gut! Knusprig, aber nicht trocken. Tolle Methode. Bißchen salzig – aber ein tolles, ganz besonderes Aroma. Die Kinder haben übrigens abgesagt. Das war auch besser so – was hätten sie denn noch essen sollen? Und wann? Die Häxle haben wir auch locker allein geschafft, so hungrig wie wir um Mitternacht waren.
Nur die roten und grünen Sichuanpfefferkörner für die Deko – die habe ich glatt vergessen. Der Ofen geht jetzt auch wieder. Danke, Tim Raue, für dieses Abenteuer. Geht doch!
Lust auf noch mehr Tim-Raue-Experimentierfreude? Auf meinem YouTube-Kanal erzähle ich in einem Video, wie es mir ergangen ist: Hier gehts zum Feinschmecker-Video.
Rezepte von mir findet Ihr hier.